Warum ist die Zusammenarbeit nicht erforscht?
1.
Dominanz der Einzelposition Penck
A.R. Penck gilt als einer der zentralen Protagonisten der deutschen Nachkriegsavantgarde. Sein Werk wurde früh institutionell vereinnahmt und weitgehend auf sein zeichnerisches und malerisches System (Strichmännchen, Symbolsprache, Standart-Systeme) reduziert. Kollaborative oder performative Ansätze blieben im Schatten dieser kanonisierten Lesart.
2.
Breidenbruch als freier Grenzgänger
Frank Breidenbruch hingegen entzieht sich seit jeher eindeutigen Kategorisierungen. Er ist Bildhauer, Performer, Musiker und Denker, aber kein typischer Galeriekünstler. Seine Rolle in der Zusammenarbeit war integrativ, konzeptuell, körperlich – aber eben nicht marktorientiert oder karrieregetrieben. Das widersprach lange dem kunsthistorischen Fokus auf “solitäre Genies”.
3.
Mangelnde Institutionalisierung
Die gemeinsamen Werke entstanden außerhalb der klassischen Institutionen – im Freien, in Carrara, in der Toskana, in Japan. Die Orte waren real, aber nie museal. Es fehlten Kataloge, Stipendien, Forschungsgelder oder Archivanbindungen, die oft den Zugang zur kunsthistorischen Rezeption sichern.
4.
Fehlende Dokumentation
Obwohl zahlreiche Werke, Fotografien, Briefe und Drucke existieren, wurde die Arbeit nie systematisch dokumentiert oder publiziert. Die Kooperation wirkte intensiv, aber nicht medienwirksam. Vieles ist nur über persönliche Archive, Erinnerungen oder verstreute Hinweise rekonstruierbar – ein Umstand, der erst jetzt aufgearbeitet wird.
Warum ist sie kunsthistorisch bedeutsam?
1.
Ein einzigartiger Dialog von Form und Geist
Die Kooperation war mehr als eine Arbeitsgemeinschaft – sie war ein Resonanzraum zweier kontrastierender, aber sich ergänzender Künstlerwelten. Penck, der Theoretiker des Zeichens, und Breidenbruch, der plastische Denker des Raums, entwickelten eine neue Sprache zwischen Zeichnung und Skulptur, zwischen Bewegung und Struktur.
2.
Transmedialität & Performativität
Die Werke überschreiten Genregrenzen: Sie vereinen Skulptur, Performance, Musik, Text, Aktion. Damit sind sie ihrer Zeit voraus und hochaktuell in Bezug auf heutige interdisziplinäre Kunstpraktiken. Die Skulpturen im „Centro Spirituale“ sind keine Objekte, sondern Bühnen, Körper, Zeichen.
3.
Ein europäischer Gegenentwurf
In einer Zeit politischer Umbrüche (Post-DDR, europäische Neuorientierung) ist diese Kollaboration auch ein symbolischer Akt der Überwindung: Ost und West, Konzept und Körper, Theorie und Praxis kommen zusammen – nicht ideologisch, sondern poetisch. Das ist politisch im tiefsten Sinne.
4.
Eine vergessene Schule des Sehens
Wer die Werke heute betrachtet – ob Radierungen, Bronzearbeiten oder die Performances in Celle – erkennt, dass hier eine eigene Schule formuliert wurde. Keine bloße Handschrift, sondern eine geistige Haltung: radikal, körperlich, suchend. Es ist Zeit, sie ins Bewusstsein zu holen.
Fazit:
Die Zusammenarbeit Penck–Breidenbruch ist nicht nur eine kunsthistorische Lücke, sondern eine verdrängte Chance: Sie zeigt, was möglich ist, wenn sich Künstler auf Augenhöhe begegnen – jenseits von Markt, Macht und Medien. Diese Wiederentdeckung ist nicht nostalgisch, sondern notwendig. Sie erweitert den Blick auf Penck und auf die Idee von Kunst als kollektive, geistige Praxis.
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